79. Circus Maximus: Grundriss
[Egger 1903: 30]:
n. 79 «Unbekannter Franzose (K.d.A.D.), XVI. Jahrh.: Grundriß der Gesamtanlage, »Circho Maximo«. In beiden Enden halbkreisförmiger Abschluß; an einem Stücke der östlichen (?) Langseite die Korridore und Kammern des Erdgeschosses eingezeichnet (vgl. Canina a. a. O. IV, tav. 183). Vgl. die Fig. 6 wiedergegebene Zeichnung eines unbekannten Künstlers (XVI. Jahrh.) im k. Kunstgewerbe-Museum in Berlin.
H. 23 ̇1, Br. 41 ̇8; Feder; WZ: Kreis mit Leiter, darüber Stern.»
Vorbemerkung: Dieser Eintrag beruht weitgehend auf dem Beitrag des Studenten Robert Kiss zur Vorlesungs-Übung an der TU Wien im Sommersemester 2022.
Zusammenfassung
Trotz der vergleichsweise sparsamen Bemaßung und des Darstellungsfehlers bzw. -irrtums des Circus als an beiden Enden halbrund geschlossen, ist das Blatt von Interesse, vor allem deshalb, weil es einige Maßangaben enthält, die vermutlich nicht in anderen Zeichnungen erscheinen. Zudem muss es auf Vorarbeiten beruhen und könnte daher — obwohl freihändig ausgeführt — wohl die vorhergehende Vermessungen zusammenfassende Vor- oder Zwischenstufe zu einer Druckvorlage darstellen.
Allgemeines
Heutige Aufbewahrung: Kasten I, 1–81, aufgelegt auf ein Kartonblatt von 498 mm × 661 mm: an zwei Rändern so aufgeklebt, dass nur eine Ecke leicht angehoben werden kann.
Provenienz: [unbekannt] / ehemalige Kaiserlich-königliche Hofbibliothek Wien, heutige Österreichi- sche Nationalbibliothek [Vermutung: Die dem Accademia-Umkreis zuzurechnenden Blätter könnten bereits durch Jacopo Strada nach Wien gebracht worden sein.]
Numerierung (der Zeichnungen) durch Vorbesitzer: keine frühere Inventarnummern:
«B. XIII. 1» / heutiges Verso
«A. H. 79» / in roter Tinte auf dem Trägerkarton neben dem Bibliothekswappen
Technische Beschreibung
Format: halbes Folioblatt
Abmessungen: 231 mm × 418 mm (nach [Egger 1903])
Papierqualität: ehemals weißes, relativ festes Papier, gleichmäßig gealtert, allseits beschnitten Gitterabstände: [noch zu ergänzen]
Wasserzeichen: Leiter im Kreis, darüber sechsstrahliger Stern / oberhalb der Maßzahl «p1500» an der Mittelachse des Circus im Zentrum des Blattes
Papiersorte:
Heftlöcher: keine Heftlöcher erkennbar (vielleicht da das Blatt allseitig beschnitten wurde) Zustand: sehr guter Erhaltungszustand; wenige Alterungsflecken (am oberen linken und mittig am rechten Rand); zu den kürzeren Rändern hin etwas dunklere Verläufe, vermutlich darauf zurück zu führen, dass hier die Außenseiten des Bandes lagen, in den das Blatt eingebunden oder eingelegt war Hände: von Egger sog. «Kopist des Anonymus Destailleur», erkennbar an der wie ein «c» nach unten rechts ausschwingenden Ziffer «3» sowie dem j-artigen Abstrich des «p», dessen Anstrich aus der Maßlinie erfolgt.
79.1 = recto: Circus Maximus: Grundriss
Allgemeine Vorbemerkungen
Bei dem Blatt handelt es sich vermutlich um eine Zwischenstufe, für die einerseits vorliegende Vermes- sungen herangezogen wurden, um bspw. weitere Maße einzutragen, und die andererseits als Vorarbeit für eine Stichvorlage bspw. zur Abschätzung der Zeichnungsproportionen dienen sollte. Eventuell wurde das Blatt sogar vorbereitet und dann bei einer Begehung vor Ort benutzt, um dort ermittelte Maße einzutragen.
Aufteilung des Blattes
79.1.1 |
Wegen der Aufschrift «Circho Maximo» ist das Blatt im Querformat zu lesen.
79.1.1 = Circus Maximus: Grundriss
Position: gesamtes Blatt;
Numerierung / Position: keine
Technik: weitgehend freihändige Feder in heute dunkelbrauner Tinte; Vorzeichnungen mit Kohlestift und Lineal sowie Zirkel
Hände: KdAD
Beischriften / Position: «Circho Maximo» / im Zentrum des Recto
Massangaben / Grundmass: «p8 – o10 – ø6» / vermutlich also französischer Fuß «pie du Roi» zu 32,48 cm
Massstab: ca. 1 : 1150 / Beispielmaße:
p1500=48.720cm≈274mm⇒1: 1778
p291=9451,7cm≈80mm⇒1: 1182
p181=5879,9cm≈52mm⇒1: 1131
Die Zeichnung weist also keinen einheitlichen Maßstab auf; der auffällig abweichende Wert für die Gesamtlänge des Circus ließe sich aber damit erklären, dass extreme Längenmaße von den Zeichnern der Accademia häufig gekürzt und nicht maßstabs- bzw. proportionsgerecht dargestellt wurden. Außerdem könnte insbesondere der «runde» Wert von 1500 Fuß eher eine Annahme des Zeichners als ein tatsächlich gemessener Wert sein.
[Dies wirft zugleich die Frage auf, ob es sich bei dem verwendeten Maß also vielleicht um das/ein antikes Fußmaß handelt und woher die Information über die Länge der Stadionbahn gekommen sein könnte — bspw. aus einer antiken Beschreibung? Laut [Panvinio 1600] war die Rennbahn des Circus Maximus 3,5 Stadien lang («longitudo stadiorum III et semis. ped.»). Bei einer Länge es römischen Stadions von 1/8 Meile wären dies 3,5 × 185 m bzw. 625 Fuß, wobei ein antiker Fuß (laut Wikipedia) mit 296 mm anzusetzen ist. Dies entspräche also laut Panvinio einer Länge von 647.5 m, während es gemäß der Zeichnung entweder — in römischen Fuß — p(1500 + 181) = p1681 × 0,296m = 497,576 m oder — in französischen Fuß — 545,99 m wären! Dieser Widerspruch wäre noch aufzuklären! Zu vermuten ist, dass der Endpunkt der p1500-Maßlinie aufgrund der damaligen topologischen Bedingungen (Verschüttung) falsch gewählt worden ist.]
Damit lässt sich für die wichtigsten, informationshaltigsten Bereiche der Zeichnung ein ungefährer Maßstab von 1 : 1150 angeben, der wohl vor allem durch die angestrebte möglichst vollständige Ausnutzung des Blattes zu erklären ist.
Kommentar: Der unvollständige Grundriss zeigt vor allem die Substruktionen bzw. oberhalb der Erdverschüttungen liegende Mauerzüge an der südlichen, dem Aventin angelehnten Seite des Circus Maximus. Dies geht aus der Orientierung des halbrunden Abschlusses hervor, der teilweise mit Mauern und Maßen angedeutet ist. Es handelt sich also nicht um die üblicherweise in Ansicht und/oder Grundriss dargestellte, Palatin-seitige Tribüne des Circus.
Neben der fälschlich als beidseitig rund geschlossenen Stadionform des Circus fallen an der einzigen Darstellung des Blattes die teilweise angegebenen kammerartigen Mauerzüge, also wohl die damals noch sichtbaren Substruktionen der Tribünen, auf, deren Form inklusive einigen den Mauerpfeilern vorgelagerter Säulen mit wenigen Maßen angegeben ist. Diese Säulen sind teilweise als in der Wand liegend gezeichnet, dürften dann also tatsächlich den Mauerpfeilern vorgelagerte Halbsäulen gewesen sein. Diese Ornamentierung der Mauerzüge spräche dafür, dass dieser Bereich öffentlich zugänglich und vermutlich überwölbt war, also keineswegs einfach als Substruktionen zu deuten ist, sondern eher eine Art Ladenstraße dargestellt haben könnte.
Der (erfundene) halbrunde Abschluss am rechten Blattrand ist nicht vollständig gezeichnet, da die Kreislinien den Blattrand überschneiden. Da die Feder aber vor Erreichen des Blattrandes abgesetzt wurde, dürfte die Beschneidung zuerst, also vor dem Zeichnen, erfolgt und somit kein Teil der Zeichnung verloren gegangen sein.
Obwohl die Substruktionen regelmäßig und recht weitläufig gezeichnet sind (sie nehmen fast eine Hälfte einer Längsseite ein — wobei es sich wohl um diejenige zum Palatin handelt —, finden sich insgesamt nur sehr wenige Maße, sogar für eine Zeichnung aus dem Accademia-Umkreis bzw. dem Kontext des Berliner Codex Destailleur D auffallend wenige. So sind nur einige Wandöffnungen sowie Wandstärken, Radien der Halbkreise und der Achsabstand angegeben.
Die Gesamtbreite des Circus ist mit p291 + 2 × p33 für die erste Umfassungsgrundmauer (entspricht sie der ersten Sitzreihe?) = p357 angegeben. Daneben ist der Radius der Wendekurve mit p181 o7 angegeben, obwohl die Hälfte von p357 = p178.5 wäre. Immerhin ist dies ein erstaunlich Näherungswert, denn setzt man p178,5 = 100%, so liegt p181 o7 = p181,58 nur 1.7% darüber, was für eine solche Vermessung im unwegsamen bzw. durch Gärten überbauten Gelände erstaunlich genau sein dürfte.
Die Vorzeichnungen mit Kohlestift fallen durch die regelmäßigen parallelen Linien auf, die den einzelnen Anfangs- und Endpunkten der Mauern entsprechen. D.h., der Zeichner muss bereits vor der Anfertigung der Zeichnung über deren Abstände im Bilde gewesen sein, also eine Vorstudie zur Verfügung gehabt haben.
Eine Wandöffnungen sowie Wandstärken, Radien der Halbkreise und der Achsabstand sind angegeben, jedoch wurde die Zeichnung nicht vollständig bemaßt. Die links gezeichneten Wandstärken werden nach außen verlaufend ungenauer, während die Strukturen nach rechts abrupt beendet wurden.
Vergleicht man die Zeichnung mit dem heutigen Bestand (2022), so kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, wieviel vom Bestand im 16. Jahrhunderts zu sehen war. Die Zeichnung zeigt vermutlich das damals noch über dem Schutt liegende Obergeschoss der Zuschauertribüne(n) des Circus, also nicht die Grundmauern bzw. Substruktionen, da die äußerste Wand keine Säulenreihe zeigt. Es kann also davon ausgegangen werden, dass im Fall des Vorhandenseins einer Außenmauer die Öffnungen für Geschäfte und Zugänge von Vorteil gewesen wären. Außerdem hätten Öffnungen zur Belichtung beigetragen. Es kann angenommen werden, dass der gesamte Bereich zum Zeitpunkt der Anfertigung der Zeichnung zu einem erheblichen Teil verschüttet war.
Die Fläche innerhalb des Circus wurde zumindest um 1560 (Dupérac-Stich) landwirtschaftliche genutzt. Dafür war eine begradigte Fläche sicherlich von Vorteil, wofür die Reste der Spina abgetragen worden sein könnten.
Vergleichbare Darstellungen: [Signatur / Link]